Trennungskriminalität – Gehören zum Streiten immer zwei?
Artikel von Barbara Thieme in der Kinderpassage zum Thema Trennungskriminalität und Häusliche Gewalt:
Die deutsche Sprache ist reich an Sprichwörtern. Manche helfen uns, mit einfachen Worten schwierige Situationen auf den Punkt zu bringen. Andere bedienen einfach nur Clichés. Ein Sprichwort kennen wir aus unserer Kindheit, wenn wir um ein Spielzeug stritten und stets den anderen als den Schuldigen erkannten. „Zum Streiten gehören immer zwei!“ mahnten die Eltern und hatten oft recht.
Auch wenn Erwachsene streiten, geht es oft nicht um das Streitobjekt selbst. Die Auseinandersetzung wird zum Machtkampf, denn keiner will nachgeben und sein Gesicht verlieren. Diese Situation beschreibt das Sprichwort sehr präzise. Aber oftmals ist es notwendig, genauer hinzuschauen, vor allem bei Streitigkeiten im Rahmen von Scheidung und Trennung. Was im ersten Moment nur wie ein Machtkampf um Kinder und Vermögen aussieht, kann schon längst in Gewalt umgeschlagen sein. Natürlich streiten sich Trennungspaare. In den meisten Fällen gibt es ja auch einen guten Grund für die Trennung. Aber was mit Streit beginnt, kann in Drohungen, Beschimpfen und Verleumdungen übergehen. Wie weit ist es dann noch bis zu körperlicher Gewalt?
Das Bundeskriminalamt hat dazu konkrete Zahlen:
Über 130.000 Menschen wurden 2016 Opfer von Häuslicher Gewalt, 82% davon Frauen.
Die Dunkelziffer ist hoch, wie immer bei solchen Themen. Im Schnitt gab es täglich einen Tötungsversuch an Ex-Partnerinnen; in 149 Fällen war der Täter leider erfolgreich. Für 2017 liegen noch keine Zahlen vor, aber das BKA weiß: Seit 2012 steigen die Zahlen kontinuierlich.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn Gewalt hat viele Gesichter. Es ist nicht immer das blaue Auge oder die gebrochene Rippe, die auf Gewalt hinweisen. Mittlerweile sind sich Forscher einig: Psychische Gewalt hat die gleichen Auswirkungen auf das Opfer wie körperliche Gewalt. Die amerikanische Hirnforscherin Naomi Eisenberger hat nachgewiesen, dass emotionaler und körperlicher Schmerz im Gehirn eng verknüpft sind. Gehirnstrukturen und damit das Verhalten des Opfers verändern sich also nicht nur durch körperliche Gewalt, sondern auch durch psychische. Die Folgen anhaltender Gewalt sind unter anderem Depressionen, Essstörungen, Panikattacken und Suizid.
Trotzdem werden Berichte von Frauen über psychischeGewalt des Mannes in familienrechtlichen Verfahren unterschätzt, ignoriert oder schlimmstenfalls als Manipulationsversuch angesehen. Nicht selten muss sich zum Beispiel eine Mutter vom Jugendamt genau diesen Satz anhören „Zum Streiten gehören immer zwei“, wenn sie die Übergriffe des Kindesvaters beschreibt in der Hoffnung, Hilfe für sich und die Kinder zu erhalten. Selbst Müttern, die sich nach jahrelanger psychischer Gewalt mit den Kindern in ein Frauenhaus retten, wird nicht selten unterstellt, dies nur zu tun, um sich einen Verfahrensvorteil zu erschleichen. Um es ganz deutlich zu sagen: Wer das behauptet, der hat nicht verstanden, dass es zwischen Streit und psychischer Gewalt einen Unterschied gibt!
Das Familienministerium hat das halbwegs erkannt. Es weiß zumindest, dass es vor allem im Rahmen von Trennungssituationen zu vermehrter Partnerschaftsgewalt kommt, also zum Beispiel auch Bedrohungen und Stalking. In seiner Publikation Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen aus dem Jahr 2014 führt es dazu aus:
„Im Zuge der Trennung und Scheidung kann bereits in der Partnerschaft bestehende Gewalt noch weiter eskalieren oder erstmals Gewalt durch einen Partner verübt werden.“
Die Mütterlobby hat dafür einen Begriff geprägt: Trennungskriminalität. Hierunter zählt jede Form von Gewalt ebenso wie Lügen und Manipulieren mit dem Ziel den anderen Elternteil psychisch zu destabilisieren und die Gerichtsverfahren für sich positiv zu beeinflussen. Immer werden in diesen sogenannten hochstrittigen Prozessen die Kinder dabei benutzt. Auch das ist Gewalt. An den Kindern.
Zum Streiten gehören immer zwei? Vorsicht! Natürlich sind immer zwei Menschen beteiligt, aber: Vielleicht handelt es sich hier um einen Täter und ein Opfer, das die Gewalt erleidet! Und vielleicht bedient genau dieses Sprichwort doch nur ein Cliché.
Barbara Thieme
Zur Person:
Barbara Thieme hat 2011 die Mütterlobby gegründet, weil sie als selbst betroffene Mutter keine Interessensvertretung für Frauen in familienrechtlichen Gerichtsverfahren fand, sondern nur für Väter.
Weitere Infos: www.muetterlobby.de, www.umgang-und-sorgerecht.de
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